MERET OPPENHEIM — Mon exposition

Intro

Mon exposition 22.10.21–13.2.22

1967 findet im Moderna Museet Stockholm die erste Retrospektive Meret Oppenheims (1913–1985) statt. Zu diesem Zeitpunkt kann die Künstlerin bereits auf ein über 30 Jahre dauerndes Schaffen zurückblicken. Mit «Ma gouvernante – my nurse – mein Kindermädchen» und weiteren Arbeiten hat sie Ikonen des Surrealismus geschaffen.

«Ich schlug C.F. Reuterswärd vor, im Katalog statt ‹Portrait› eine Röntgenaufnahme meines Schädels, mit grossen Ohrringen, Hals u. Hand, auch mit Kettchen u. Ring, zu bringen. C.F.R. gefiel sie sehr, soll ich sie schicken?»

Meret Oppenheim, 1967 Brief an Mette Prawitz, Moderna Museet Stockholm, 18.1.1967, Archiv Moderna Museet

Die Situation ist paradox: Das Museum geht nicht auf den Vorschlag ein und verwendet stattdessen eine Aktaufnahme von ihr. Die 54-jährige Oppenheim ist auf diesem Foto 20 Jahre alt. Auch das Cover des Katalogs ziert nicht ein Werk der Künstlerin, sondern eine Gestaltung des Künstlers C.F. Reuterswärd. In diesem Augenblick ihres bis dato grössten Erfolgs begreift sie, dass sie ihr öffentliches Bild als Künstlerin selber steuern muss.

«Röntgenaufnahme des Schädels M.O.», 1964/1981, Silbergelatineabzug 40,5 × 30,5 cm, Hermann und Margrit Rupf-Stiftung, Kunstmuseum Bern © 2021, ProLitteris, Zurich, Foto: Kunstmuseum Bern, recom Art Berlin

Dieses Selbstporträt ist sinnbildlich für Meret Oppenheim, die ihr Werk stets mit radikaler Offenheit weiterentwickelt hat. Unterschiedliche Materialien und aktuelle Kunstströmungen bezog sie aktiv in ihr Werk ein und blieb nie einem Stil oder einer Methode verhaftet.

Die Stilvielfalt von Oppenheims Werk ist ungewöhnlich und war eine grosse Herausforderung für ihre Zeit. Seit der ersten Retrospektive versuchte sie, ihr Image als Künstlerin selbst zu bestimmen. Damit kämpfte sie gegen die ihr aufgezwungene Aussenperspektive an, die ihr gesamtes Schaffen dem Surrealismus zuordnen wollte.

Endlich Paris!

Gäste bei Sophie Taeuber-Arp und Jean Arp: Meret Oppenheim, Marie-Berthe Aurenche, Max Ernst u.a., ca. 1932 Foto: Stiftung Arp e.V., Berlin/Rolandswerth. Für das unvollendete Gipsmodell, ca. 1932 von Jean Arp: © 2021, ProLitteris, Zurich

Endlich Paris!

Zielsicher begibt sich Meret Oppenheim 1932, damals ist sie 18 Jahre alt, nach Paris. Hier erlebt sie ihre erste Anerkennung als Künstlerin und baut sich ein internationales Netzwerk auf.

Eigentlich ist sie an einer Kunstakademie eingeschrieben, doch Oppenheim geht lieber zum Apéro in die einschlägigen Cafés. Paris ist in den 1930er-Jahren ein Meltingpot für verschiedene Strömungen der europäischen und amerikanischen Avantgarde.

«Denn wenn ich auch nicht einen speziellen Lehrer habe, so habe ich doch viele, dadurch, dass ich hier viel sehe und höre.»

Meret Oppenheim, 1933 Brief an Erich Alfons Oppenheim, 26.3.1933

Innerhalb kurzer Zeit lernt Oppenheim so unterschiedliche Künstler:innen und Literat:innen wie André Breton, Marcel Duchamp, Leonor Fini, Alberto Giacometti, Dora Maar, Man Ray, Kurt Seligmann und Toyen kennen. An einer Gartenparty bei Jean Arp und Sophie Taeuber-Arp trifft sie u.a. auf Marie-Berthe Aurenche, Max Ernst und James Joyce.


Rechts von Meret Oppenheim mit weisser Bluse sitzen die Malerin Marie Berthe-Aurenche und der Künstler Max Ernst. Links vorne mit Brille ist Autor James Joyce zu erkennen. Der Gastgeber Jean Arp ist unten in der Mitte von hinten zu sehen. Schweizerisches Literaturarchiv (SLA), Bern, Nachlass Meret Oppenheim, MO-E-6-C-5-043

Oppenheim sprüht vor Kreativität und bezieht ein Atelier. Schnell entstehen Zeichnungen, Collagen und auch Gedichte. Sie experimentiert mit unterschiedlichen Materialien, entwirft Skizzen für Skulpturen, beginnt zu malen und erste Objekte herzustellen.


Meret Oppenheim im Pariser Atelier, ca. 1933 Schweizerisches Literaturarchiv (SLA), Bern, Nachlass Meret Oppenheim, MO-E-6-C-2-013

Schnell wird Oppenheim als Künstlerin anerkannt und zeigt ihre Werke auf Ausstellungen in Paris, Basel, London oder New York. Besonderen Eindruck machen ihre Objekte («Objets»), die zu Inbegriffen surrealistischer Kunst werden.



Surrealismus

Der Begriff «surreal» bedeutet so viel wie traumhaft, unwirklich, über dem Realen stehend. Stilbildend wurde er mit dem «Surrealistischen Manifest», das der Schriftsteller André Breton 1924 veröffentlichte. In Anschluss an die Traumdeutung Sigmund Freuds wollte er zu den geheimen Begierden, tabuisierten Sehnsüchten und Trieben des Menschen vordringen, um das Unbewusste als Ort künstlerischer Inspiration zu erschliessen.

Dafür entwickelten die Surrealist:innen neue Techniken wie das Aufzeichnen von Träumen, das Kombinieren beziehungsloser Gegenstände, automatisches Schreiben und Zeichnen sowie neue künstlerische Methoden der Zusammenarbeit. Sie wollten nicht nur die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Fantasie und Vernunft auflösen, sondern auch die Grenzen bürgerlicher Moral- und Wertvorstellungen sprengen.

In Paris schloss sich eine Gruppe von Persönlichkeiten vor allem aus den Bereichen Film, Theater, Literatur und der bildenden Künste zusammen. Darunter waren Salvador Dalí, Max Ernst, Leonor Fini, René Magritte, Dora Maar, Meret Oppenheim, Man Ray, Tristan Tzara u.v.a.

Die Surrealist:innen bildeten eine der ersten Gruppen, in der Frauen als Künstlerinnen denselben Stellenwert hatten wie Männer. Aber trotz der alle Lebensbereiche umfassenden revolutionären Ideale vertraten die meisten Männer traditionelle Rollenbilder.



«Ma gouvernante – my nurse – mein Kindermädchen», 1936/1967, Metallplatte, Schuhe, Schnur und Papier, 14 × 33 × 21 cm, Moderna Museet, Stockholm © 2021, ProLitteris, Zurich, Foto: Albin Dahlström/Moderna Museet

Oppenheim schreibt seit dem 14. Lebensjahr ihre Träume nieder und beschäftigt sich bereits vor ihrer Begegnung mit den Surrealist:innen mit dem Traumhaften, Makabren sowie Themen der Verwandlung.

«Ich habe nie mit den Surrealisten zusammen­ge­arbeitet. Ich habe immer gemacht, was ich wollte und wurde sozusagen zufällig von ihnen entdeckt.»

Meret Oppenheim, 1981 Aus: «Freiheit, die ich meine, bekommt man nicht geschenkt», Interview mit AnnA BlaU, in: Extrablatt, Mai 1981

Sie wird die in Paris geknüpften Freundschaften und Verbindungen ein Leben lang schätzen, möchte ihre künstlerische Entwicklung jedoch unabhängig und mit der grösstmöglichen Freiheit voranbringen.

Meret Oppenheim über die Gründe ihrer Trennung von Max Ernst Aus: «Meret Oppenheim – Eine Surrealistin auf eigenen Wegen», von Daniela Schmitt-Langels, produziert von Anahita Nazemi, Kobalt Productions, in Koproduktion mit SRF, RTS und Arte/ZDF © 1963-2013 SRF, lizenziert durch Telepool GmbH Zürich

Plötzlich Provinz

«Krieg und Frieden», 1943, Öl auf Leinwand, 80 × 140 cm, Kunstmuseum Basel © 2021, ProLitteris, Zurich

Plötzlich Provinz

Die politische Lage in Europa zwingt Oppenheim, 1937 Paris zu verlassen. In der Schweiz angekommen, fühlt sie sich isoliert und verliert ihr Selbstvertrauen als Künstlerin.

Aufgrund des jüdischen Nachnamens muss Oppenheims Vater seine Arztpraxis in Deutschland schliessen. Dadurch versiegt der Geldfluss, der Oppenheim das Leben in Paris finanziert hatte und sie reist zu ihrer Familie, die inzwischen in Basel eine befristete Aufenthaltsbewilligung erhalten hat.


Ausweisdokument «Carte de Tourisme» von Meret Oppenheim In: Album «Von der Kindheit bis 1943», Schweizerisches Literaturarchiv (SLA), Bern, Nachlass Meret Oppenheim, LW-C-1-c/3

Oppenheim findet in Basel zwar Anschluss an die antifaschistische Künstler:innenvereinigung «Gruppe 33», das freiheitliche Lebensgefühl, das sie in Paris genoss, vermisst sie aber ebenso schmerzlich wie den dort aufgebauten Freundeskreis.

Gruppe 33

Aus Protest gegen die konservative Schweizer Kunstpolitik gründeten drei Basler Künstler 1933 die Gruppe 33. Der schnell wachsende Zusammenschluss verband Künstler:innen unterschiedlichster Stilrichtungen und versuchte, Einfluss auf die Kunstpolitik und die Vergabe öffentlicher Aufträge zu nehmen, die in der Regel an klassisch ausgebildete und figürlich arbeitende Künstler:innen vergeben wurden.

Die Formierung der Gruppe 33 fiel in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Vor und während der Kriegsjahre wurde in der Schweiz die «Geistige Landesverteidigung» propagiert. Diese Ideologie versuchte, unter Rückgriff auf die sogenannten «Schweizer Werte», eine kulturelle Eigenständigkeit der Schweiz zu konstruieren.

Die Vorstellung einer zweckgebundenen und «nationalen» Kunst lehnte die antifaschistisch eingestellte Gruppe 33 kategorisch ab. Zu den Mitgliedern zählten u.a. Otto Abt, Walter Bodmer, Serge Brignoni, Paul Camenisch, Theo Eble, Walter Kurt Wiemken und Irène Zurkinden. Einige lehrten an der Allgemeinen Gewerbeschule Basel, an der auch Oppenheim kurzzeitig studierte.

«Die Basler halten mich für verrückt, weil ich rote Schuhe mit lila Strümpfen trage.»

Meret Oppenheim, 1939 Brief an André Pieyre de Mandiargues, 29.4.1939

Oppenheim fühlt sich isoliert und in ihrer Kreativität eingeschränkt. In diesen Jahren greift sie die Genoveva-Sage mehrfach in Bildmotiven auf. Der Legende nach wurde die Pfalzgräfin Genoveva zu Unrecht von ihrem Ehemann der Untreue bezichtigt und verbannt. Sie lebte jahrelang im Wald.

«Das Leiden der Genoveva», 1939, Öl auf Leinwand, 49,4 × 71,5 cm, Kunstmuseum Bern, Legat Meret Oppenheim © 2021, ProLitteris, Zurich, Foto: Kunstmuseum Bern, recom Art Berlin

Die Figur der Genoveva bietet Oppenheim eine Identifikation für ihre eigene Lage, die sie nach den Erfolgen in Paris in die Provinz führt, wo sie nicht mehr die gleiche ist. Dieses Gefühl setzt die Künstlerin bildlich um, indem sie eine schwebende Figur ohne Arme malt.

1937 beschliesst sie, sich an der Basler Kunstgewerbeschule einzuschreiben. Den plötzlichen Zweifeln an ihrem künstlerischen Können versucht sie mit dem Erlangen handwerklicher Sicherheit entgegenzuwirken. Damit beginnt eine Schaffensphase, in der sie eine ausgeprägt gegenständliche Bildsprache verwendet und fantastische, märchenhafte und mythologische Motive malt.

Nicht nur ihre künstlerische Entwicklung macht Oppenheim zu schaffen, sondern auch die sich zuspitzende politische Situation während des Zweiten Weltkriegs. Basel grenzt direkt an Deutschland und Frankreich, und die drohende Gefahr ist unmittelbar spürbar. Oppenheim erwägt, wie viele ihrer Freund:innen, in die USA zu emigrieren und hat für den Fall des Kriegseintritts stets einen Fluchtrucksack mit einem Revolver bereitstehen.

«Ich rate Dir, mit dem Malen anzufangen, es ist die einzige Möglichkeit, sich von all diesen un­an­g­enehmen Dingen abzuschotten. Was mich betrifft, bin ich weniger optimistisch als je zuvor, ich rechne damit, alle zu verlieren, aber gleichzeitig werde ich bereit sein, das, was ich begonnen habe, fortzusetzen und so zu leben, wie ich will.»

Meret Oppenheim, 1940 Brief an Leonor Fini, 1-3.8.1940

Auch wenn Oppenheim im Rückblick diese Kriegsjahre selbst als «Krise» bezeichnete, arbeitet sie während dieser Zeit stetig, nimmt an Ausstellungen teil und beginnt sich für Theaterproduktionen zu interessieren. Die Arbeit erscheint ihr als der einzige Weg, ihre Situation erträglicher zu machen.

Meret Oppenheim über ihre «Krise» Aus: «Frühstück im Pelz» von Christina von Braun, NDR, 1978 © Norddeutscher Rundfunk, 1978 / Studio Hamburg Enterprises

Wieder Avantgarde

«Eichhörnchen», 1960/1969, Bierglas, Schaumstoff, Pelz, 21,5 × 13 × 7,5 cm, Kunstmuseum Bern © 2021, ProLitteris, Zurich, Foto: Peter Lauri

Wieder Avantgarde

In Bern findet Oppenheim ihre Wahlheimat. Die als Surrealistin bekannte Künstlerin wird hier Teil einer neuen avantgardistischen Szene.

Per Zeitungsannonce sucht der Basler Chemielaborant Wolfgang La Roche 1945 nach einer Partnerin für Ausfahrten mit seiner Harley-Davidson, woraufhin sich Meret Oppenheim bei ihm meldet. Nach der Heirat zieht das Paar 1949 nach Bern. 

Zwar ist Bern die Schweizer Hauptstadt, aber im Vergleich mit internationalen Metropolen eher provinziell. Der Kurator Arnold Rüdlinger sagt 1955 über die Stadt: «Die schlichte Uninteressiertheit Berns sichert zwar keine Unterstützung, jedoch die nötige Toleranz.»


Oppenheim mit Wolfgang La Roche, 1952 © Archiv Meret Oppenheim

Der Umzug stellt sich als Glücksfall für Oppenheim heraus. 1954 bezieht sie hier zum ersten Mal wieder ein Atelier. Was sie in Paris verloren hat und in Basel vermisste, begegnet ihr in Bern unerwartet wieder. Sie arbeitet mit neu gewonnenem Selbstvertrauen und findet sich inmitten neuer Avantgardeströmungen wieder, die in Bern in den 1950er- und 1960er-Jahren auf nährreichen Boden treffen.

Oppenheim in ihrem ersten Atelier in Bern, 1954 Schweizerisches Literaturarchiv (SLA), Bern, Nachlass Meret Oppenheim, MO-E-6-C-1-199 © Martin Glaus / Fotostiftung Schweiz

Avantgarde in Bern

Ein Lokal in der Berner Altstadt avancierte in den 1950er-Jahren zum Szenetreffpunkt für Kulturschaffende. Im «Café de Commerce» trafen berühmte Künstler:innen wie Serge Brignoni, Meret Oppenheim oder Otto Tschumi auf die jüngere Generation von Lilly Keller, Dieter Roth oder Daniel Spoerri. Arnold Rüdlinger, Kurator der Kunsthalle, nannte das Lokal sein Büro und lud nach den Vernissagen dorthin zum Umtrunk ein. In seinem Kunsthalle-Programm zeigte er Ausstellungen mit Werken aus aktuellen Nachkriegstendenzen wie dem Informel und dem Abstrakten Expressionismus.

Auch Rüdlingers Nachfolger in der Kunsthalle, der Kurator Franz Meyer, war der US-amerikanischen Gegenwartsmalerei verbunden, er förderte jedoch auch junge Eisenplastiker wie Jean Tinguely oder Bernhard Luginbühl. Durch seine Ausstellungen und legendäre Feste fanden Grössen wie Isamu Noguchi, Alberto Giacometti oder Sam Francis nach Bern.

Diese internationale Strahlkraft der Kunsthalle fand mit der Berufung des heute als «Künstlerkurator» bekannten Harald Szeemann einen weiteren Höhepunkt. Er konzipierte 1969 die Ausstellung «Live in your head. When Attitudes Become Form», die zwar karge Besucherzahlen aufwies, jedoch weltweit Wellen schlug. Die Radikalität der gezeigten Werke der Konzeptkunst, Arte Povera und Land Art sowie die Zusammenarbeit zwischen Kurator und Kunstschaffenden war für ein breites Publikum neu und revolutionär. Damit rückte Bern endgültig auf die Landkarte der internationalen Gegenwartskunst.

Das vielfältige Umfeld und die Ausstellungen in der Kunsthalle sind anregend für Oppenheims Produktion. Sie baut neue Einflüsse stetig in ihr Werk ein und verwendet beispielsweise neue synthetische Materialien, kombiniert Gebrauchsgegenstände oder kreiert Objekte aus natürlichen Elementen.

«Eichhörnchen», 1960/1969, Bierglas, Schaumstoff, Pelz, 21,5 × 13 × 7,5 cm, Kunstmuseum Bern © 2021, ProLitteris, Zurich, Foto: Peter Lauri

Avantgardebewegungen

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden zahlreiche neue Avantgardebewegungen, deren vielfältige Ausdrucksformen nicht immer konkret abgrenzbar sind und sich lokal unterschiedlich niederschlugen.

Als NOUVEAUX RÉALISTES wird eine Gruppe von Künstler:innen bezeichnet, die ab den 1950er-Jahren aktiv war. Eines ihrer typischen Verfahren ist die Kombination oder Akkumulation von Alltagsgegenständen. Darin werden Zufall und Warencharakter zu einer neuen Magie der Dinge verknüpft. Zu den Nouveaux Réalistes zählen u. a. Arman, César, Yves Klein, Niki de Saint Phalle, Daniel Spoerri und Jean Tinguely.

Die vielgestaltige POP-ART entstand Ende der 1950er-Jahre in Grossbritannien und den USA. In ihren Werken wird die Konsumgesellschaft gleichsam gefeiert und kritisiert. Die Bildwelten der Massenmedien finden Eingang in die künstlerischen Arbeiten. Zu den internationalen Grössen gehören u.a. David Hockney, Jasper Johns, Claes Oldenburg, Markus Raetz, Robert Rauschenberg und Andy Warhol.

Die ARTE POVERA entstand in den 1960er-Jahren in Italien. Der Name («arme Kunst») verweist auf die Verwendung von wertarmen Materialien wie Holz, Papier, Stoffen oder Licht. Die Arte Povera kritisiert die negativen Auswirkungen der Konsumgesellschaft, der Industrialisierung und das Dogma des Fortschritts um jeden Preis. Wichtige Vertreter:innen sind u.a. Alighiero Boetti, Luciano Fabro, Jannis Kounellis, Marisa Merz, Mario Merz und Nakis Panayotidis.

Dinner-Party mit Daniel Spoerri und Meret Oppenheim, Paris 1972 © Ad Petersen

Daniel Spoerri lernt Oppenheim um 1954 in Bern kennen. Der Tänzer wird später berühmt mit seinen «Fallenbildern», Bilder, auf die er z.B. benutzte Teller, Besteck und ausgetrunkene Gläser klebt.

Happening auf der Lueg, 1966 © Keystone

1966 findet im Berner Emmental ein «Happening» statt, bei welchem Künstler:innen Themen der Schweizer Folklore parodieren. In Oppenheims Beitrag zieht sie als Kuh verkleidet ein Bauernmädchen hinter sich her.

Meret Oppenheim mit Jean Tinguely, Paris 1972 © Ad Petersen

Eine lange Freundschaft verbindet Jean Tinguely mit Oppenheim. Den Maschinenbastler kennt sie schon aus ihren Basler Jahren und trifft sich mit ihm im Café de Commerce oder in Paris, wo sie ab den 1970er-Jahren ebenfalls ein Atelier hat.

Markus und Monika Raetz mit Meret Oppenheim, 1984 Foto: © Archiv Monika Raetz

Der Künstler Markus Raetz und die Modedesignerin Monika Raetz arbeiten in den 1960er-Jahren in Bern. Beide spielen zu dieser Zeit mit Motiven und Elementen aus der Popkultur. 

Daniel Spoerri lernt Oppenheim um 1954 in Bern kennen. Der Tänzer wird später berühmt mit seinen «Fallenbildern», Bilder, auf die er z.B. benutzte Teller, Besteck und ausgetrunkene Gläser klebt.

«Wenn man mir immer wieder das Etikett Surrealistin anhängt, kann ich es nicht ändern, es ist nun mal passiert. Aber es interessiert mich nicht so. […] Es ist für mich einfach immer ständig die Gegenwart. [...] Es ist für mich einfach immer ein Weiterleben: heute kommt das, morgen das; heute Op Art, dann kommt wieder was. Da suche ich mir aus, was ich mag, ob das jetzt Rauschenberg und Jasper Johns sind oder ob es Pollock ist.»

Meret Oppenheim, 1982 Aus: «Kunst ist Interpretation», Interview mit Petra Kipphoff, in: Die Zeit, No. 47, 1982.

Oppenheims Schaffen fällt auch dem Museumsleiter Pontus Hultén auf. Er macht die Nachkriegskunst populär und initiiert in Europa wichtige Ausstellungen zu Pop-Art und Nouveau Réalisme. Für Oppenheim interessiert er sich als Gegenwartskünstlerin und nicht, weil er in ihrem Werk die bekannte Surrealistin sieht. 1966 lädt er sie ein, im Moderna Museet in Stockholm ihre erste Retrospektive zu zeigen.

Ausstellungsansicht der Retrospektive im Moderna Museet, Stockholm, 1967 Foto: Moderna Museet, Stockholm © Hans Hammarskiöld

C. F. Reuterswärd, Meret Oppenheim und Pontus Hultén vor Oppenheims Objekt «Eine entfernte Verwandte» von 1966. 

Ausstellungsansicht der Retrospektive im Moderna Museet, Stockholm, 1967 Foto: Moderna Museet, Stockholm © Hans Hammarskiöld

In der Ausstellung waren aktuelle Werke der Künstlerin zu sehen, wie «Eichhörnchen» (1960), «Urzeit-Venus» (1962), oder «Ma gouvernante – my nurse – mein Kindermädchen» (1936/1967). Dieses verlorene Werk von 1936 fertigte Oppenheim für die Retrospektive neu an.

Meret Oppenheim in einem von ihr selbst entworfenen Überwurf, 1967 Foto: Schweizerisches Literaturarchiv (SLA), Bern, Nachlass Meret Oppenheim, MO-E-6-C-2-112. Zitat aus Brief an Christoph Bernoulli, 26.4.1967

In einem Brief an einen Freund schreibt sie: «Es war fein in Stockholm, und es ist angenehm geehrt und umgaukelt zu werden, wie Du weisst, was in der lieben Heimat nicht so häufig ist.»

C. F. Reuterswärd, Meret Oppenheim und Pontus Hultén vor Oppenheims Objekt «Eine entfernte Verwandte» von 1966. 

In der Schweiz jedoch fehlt die breite Anerkennung für Oppenheims Schaffen als Künstlerin. An ihrer ersten Einzelausstellung in Bern 1968 kann sie kein einziges Werk verkaufen. Ihre Offenheit für unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen und Techniken wird sie als Künstlerin noch lange schwer fassbar machen.

Meret Oppenheim über ihre künstlerische Praxis, 1983 Aus: «Vis-à-vis», Interview mit Frank A. Meyer, Schweizer Fernsehen DRS, 1983 © 1963-2013 SRF, lizenziert durch Telepool GmbH Zürich

FeMale

«Dort fliegt sie, die Geliebte», 1975, Öl auf Leinwand und plastische Masse (Rugosit) auf Kunststoff, 71 × 99 cm, Kunstmuseum Olten, Gottfried Keller-Stiftung, Bundesamt für Kultur, Bern © 2021, ProLitteris, Zurich

FeMale

Oppenheim entwickelt eine öffentliche Stimme und wird zur Verfechterin eines «androgynen Geistes». Eine Trennung in eine «männliche» und eine «weibliche» Kunst lehnt sie ab.

Das Interesse an Oppenheim nimmt in den 1970er-Jahren stetig zu, und sie gibt zahlreiche Fernseh- und Printinterviews, in denen sie immer wieder auf ihr Frausein angesprochen wird. Sie besteht darauf, dass es nur eine Kunst gibt, egal ob von Männern oder Frauen gemacht. Für sie besitzen Männer weibliche Komponenten und Frauen männliche, die jeweils unterdrückt werden. Die Überzeugung des «zweigeschlechtlichen Geistes» tritt spielerisch als Thema auch in ihrem Werk zutage.

  • «Das Geheimnis der Vegetation», 1972, Öl auf Leinwand, 195 × 97 cm, Hermann und Margrit Rupf-Stiftung, Kunstmuseum Bern © ProLitteris Zürich, 2021

Im Zuge der erstarkten Frauenbewegung wird Meret Oppenheim vermehrt zu «Frauenausstellungen» eingeladen – nach einigen Teilnahmen beginnt sie aber, genau solche Ausstellungen zu verurteilen. Oppenheim hat sich in der Männerdomäne Kunst durchgesetzt und will als Künstlerin mit dem gleichen Massstab wie ihre Kollegen beurteilt werden. «Es ist schwierig für Frauen» sagt sie 1973, «aber wir müssen arbeiten und nicht klagen.»

Frauenbewegung

1971 erschien in den USA Linda Nochlins bahnbrechender Aufsatz «Why Have There Been No Great Women Artists?», der eine feministische Debatte in der Kunstwelt anstiess. Nochlin kuratierte eine Reihe von Ausstellungen, die nur Werke von Künstlerinnen zeigten. Ihr Artikel übte tiefgreifenden Einfluss auf die kuratorische Praxis und die Neubewertung von Künstlerinnen aus.

Während in den USA bereits neue Ausstellungspraktiken ausprobiert wurden, mussten Frauen in der Schweiz noch für ihre politischen Grundrechte kämpfen. 1971 führte die Schweiz als eines der letzten europäischen Länder das Stimm- und Wahlrecht für Frauen ein. Ausschlaggebend war der «Marsch nach Bern» im Jahr 1969, auf dem lautstark jene Gleichstellung der Geschlechter auf politischer Ebene eingefordert wurde. Die daraufhin abgehaltene Volksabstimmung, an der paradoxerweise nur Männer teilnehmen durften, brachte den ersehnten Erfolg.

Eine frühe Schweizer Frauenrechtlerin war Lisa Wenger-Ruutz (1858–1941). Die Grossmutter von Meret Oppenheim war ausgebildete Malerin und eine der meistgelesenen Autorinnen ihrer Zeit.

1975 erhält Meret Oppenheim mit dem Basler Kunstpreis ihre erste grosse Auszeichnung. Sie nutzt das öffentliche Interesse, um sich zu positionieren. In ihrer Preisrede verweist sie nicht nur auf die Schwierigkeiten, sich mit einer neuen Formensprache durchzusetzen, sondern auch auf die Abwertung des Weiblichen und des «weiblichen Künstlers».

«Es ist nicht leicht, ein junger Künstler zu sein. Wenn einer in der Art eines anerkannten Meisters arbeitet, eines alten oder eines zeit­ge­nössi­schen, dann kann er bald zu Erfolg kommen. Wenn einer aber eine eigene, neue Sprache spricht, die noch niemand versteht, dann muss er manchmal lange warten, bis er ein Echo vernimmt. Noch schwieriger ist es, immer noch, für einen weiblichen Künstler.»

Meret Oppenheim, 1975 Aus: Rede anlässlich der Übergabe des Kunstpreises der Stadt Basel 1974 am 16. Januar 1975
Übergabe des Kunstpreises an Meret Oppenheim, Universität Basel, 16.1.1975 Foto: Hans Bertolf, Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 2-1337 1

1975 wird Oppenheim als erster Frau überhaupt der Kunstpreis der Stadt Basel verliehen. 

Seit 2001 wird der vom Bundesamt für Kultur verliehene Schweizer Grand Prix der Kunst nach ihr als «Prix Meret Oppenheim» benannt.

Verleihung des Kunstpreises 1974 der Stadt Basel Foto: © Maria Netter, SIK-ISEA, Courtesy Fotostiftung Schweiz

Im Rahmen der Preisverleihung hält Oppenheim eine vielbeachtete Rede, welche kurze Zeit später publiziert wird und die feministische Kunstdebatte befeuert.

Eröffnung der ersten Schweizer Retrospektive im Kunstmuseum Solothurn, 1974 Foto: © Nachlass Leonardo Bezzola

1974/75 finden Oppenheim-Retrospektiven in Solothurn, Winterthur und Duisburg statt. Zur Eröffnung in Solothurn kommen auch Sam Francis (links) und Jean Tinguely (rechts).

1975 wird Oppenheim als erster Frau überhaupt der Kunstpreis der Stadt Basel verliehen. 

Seit 2001 wird der vom Bundesamt für Kultur verliehene Schweizer Grand Prix der Kunst nach ihr als «Prix Meret Oppenheim» benannt.

Meret Oppenheim über die Bedingungen von weiblichem Kunstschaffen Aus: «Frühstück im Pelz» von Christina von Braun, NDR, 1978 © Norddeutscher Rundfunk, 1978 / Studio Hamburg Enterprises

Mon Exposition

Meret Oppenheim in ihrem Atelier in Paris, 1978 Schweizerisches Literaturarchiv (SLA), Bern, Nachlass Meret Oppenheim, MO-E-6-C-3-048 und MO-E-6-C-3-046

Mon exposition

In den letzten Jahren vor ihrem Tod 1985 erlebt Oppenheim grosse Momente der Anerkennung – und arbeitet an einem eigenen Konzept für eine Retrospektive.

1982 wird die 69-jährige Meret Oppenheim eingeladen, an der documenta 7 teilzunehmen. Die documenta ist die grösste Überblicksschau für zeitgenössische Kunst, die alle fünf Jahre in Kassel stattfindet.

Im selben Jahr erscheinen Meret Oppenheims Werkverzeichnis und die erste Monografie über ihr Schaffen. Das einseitige Bild von ihr als Künstlerin des Surrealismus konnte sie erfolgreich aufbrechen – ihr Werk wird endlich in seiner Vielfalt und Aktualität wahrgenommen.


Stehend von links: Der Künstler Enzo Cucchi, die Kunsthistorikerin Jacqueline Burckhardt und Meret Oppenheim an der documenta 7 in Kassel, 1982 Schweizerisches Literaturarchiv (SLA), Bern, Nachlass Meret Oppenheim, MO-E-6-C-5-140

«Ich hatte Ruhe mein ganzes Leben lang vor dem Ruhm, den ich als etwas eher Störendes empfinde. Jetzt finde ich ihn ganz in Ordnung.»

Meret Oppenheim, 1982 Aus: «Meret Oppenheim. Kunst kann nur in der Stille entstehen» (1982), in: Werner Krüger und Wolfgang Pehnt (Hg.), Documenta-Documente. Künstler im Gespräch, Köln 1984.

Ebenfalls 1982 erhält sie den offiziellen Auftrag ihrer Wahlheimat Bern, einen Brunnen für die Stadt zu gestalten. Als er 1983 realisiert ist, stösst die ungewöhnliche Konzeption jedoch auf wenig Gegenliebe. Im gleichen Jahr wird Oppenheim für eine Retrospektive in der Kunsthalle Bern angefragt.


Meret Oppenheim zeigt auf dem Waisenhausplatz in Bern auf die Stelle, wo ihr Brunnen stehen soll, 1982 Staatsarchiv des Kantons Bern, FN Baumanm 1065, © Margrit Baumann

«Als ich hörte, dass ich nach Bern in Paris, in noch anderen Ländern und vielleicht Kontinenten ausstellen würde, dachte ich mir, so, jetzt wird's ernst. Dann habe ich mich hingesetzt und auf zwölf grossen Blättern, so etwa 60 x 70 cm im Format, eine Folge gemacht: eine imaginäre Ausstellung, von der frühesten Zeit – zwei Kinder­zeichnungen sind auch dabei – bis jetzt.»

Meret Oppenheim, 1984 Aus Interview mit Rudolf Schmitz, in: Wolkenkratzer Art Journal, Nr. 5, Nov./Dez. 1984.
«M.O.: Mon Exposition», 1983 (Blatt 1), Bleistift, Farbstift und Kugelschreiber auf zwölf Blättern je 64,8 × 50 cm, Sammlung Bürgi, Bern © 2021, ProLitteris, Zurich, Foto: Kunstmuseum Bern, recom art Berlin

In 12 Zeichnungen hält Oppenheim eine Auswahl der Werke fest, die ihr wichtig sind und mit denen sie sich richtig repräsentiert fühlt. Zusammen mit dem Kurator Jean-Hubert Martin setzt sie die Ausstellung um, die 1984 in der Kunsthalle Bern eröffnet wird. Auf dem Cover des dazu erschienenen Kataloges ist eines ihrer Werke abgebildet.

«La condition humaine (Da stehen wir)», 1973, Öl auf Leinwand, 90 × 100 cm, Privatsammlung © 2021, ProLitteris, Zurich, Foto: Courtesy Sotheby’s
Beim Einrichten ihrer Ausstellung in der Kunsthalle Bern 1984 spricht Meret Oppenheim über die Erwartungen an ihre Kunst Aus: «Meret L’Insoumise», TSR, 1984 © 1963-2013 SRF, lizenziert durch Telepool GmbH Zürich

Geheimtipp

Geheimtipp

Der «Brunnen» von 1983: heute beliebt, damals umstritten!

Auf dem Waisenhausplatz in unmittelbarer Nähe zum Kunstmuseum Bern steht Meret Oppenheims «Brunnen» noch heute. Er verändert sich stetig und geht mit den Jahreszeiten. Gleichzeitig mit der städtischen Strassenbeleuchtung wird die von der Künstlerin konzipierte Beleuchtung jeden Abend für kurze Zeit eingeschaltet. Die Stadtgärtnerei Bern hat den Pflanzenbewuchs untersucht und über 30 verschiedene Arten gefunden.

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